Kingdom Come: Deliverance Test / Review

Mit Kingdome Come: Deliverance ist dem Kickstarter Projekt von Warhorse Studios eine großartige Hommage an das europäische Mittelalter gelungen. Den Staub und das Blut aus dieser Zeit konnte ich schmecken und das wesentlich realistischer als mir manchmal lieb war. Aber von vorne angefangen.

Im Böhmen des 14. Jahrhunderts spielt die Geschichte um den jungen Henry. Er ist der Zögling eines aus Prag weggezogenen Schmiedemeisters und lebt nun mit seiner Familie in Skalitz. Zum Einfinden und Kennenlernen spielt sich die erste Stunde in der kleinen Ortschaft ab. Eine Reihe an Besorgungen steht an, und während ich diese abklappere, komme ich in die erste Rauferei mit einem Schuldner meines Vaters. Komplett überfordert mit der Steuerung bekomme ich ordentlich auf die Schnauze. Knapp gewonnen erhalte ich das notwendige Werkzeug und ziehe weiter. Dem Angebot meiner Kumpels das neue Haus eines Oberen mit Dung zu bewerfen entsage ich, so pflichtbewusst wie ich bin. Lieber flirte ich mit Bianca, schon hier achte ich genauestens darauf welche Antwort ich auswähle. Diese gestalten sich durch verschiedene Eigenschaften: Redekünste (Speech), Eindruck durch Auftreten oder Reinlichkeit. Aber auch der Ruf in der Ortschaft und der Ortschaft gegenüber sind entscheidend. Adel oder Pöbel? Soldat oder Händler? Im Laufe des Spiels fokussiere ich mich immer mehr auf die Speech-Ability und komme damit sogar aus sehr schwierigen Situationen (wenn ich zum Beispiel frisch nach einem Diebstahl durchsucht oder gar erwischt werde) heraus.

Bevor ich mich zurück zu Papi begebe habe ich noch ein Tutorial zum Schwertkampf. Und hier zeigt sich erst wie durchdacht und vielfältig der Kampf in Kingdome Come: Deliverance sein kann. Unterschiedliche Angriffsrichtungen, Kombination von Attacken, später kommen noch Finten und Ausweichen dazu. Zuviel im ersten Moment, sodass der Lehrer nach einigen Minuten des Scheiterns im Kombinieren die Lehrstunde beendet. Hier hatte ich erste Zweifel ob das denn so spaßig wird oder eher ein Grund zur Frustration. Aber mit dem Fortschreiten im Spiel wurde ich besser und konnte auch gegen zwei oder mehr Kontrahenten bestehen. Es lag zwar auch an einigen Fähigkeiten und der Ausrüstung aber das Kontern und Kombinieren bewährte sich am meisten sobald ich es drauf hatte. Der Faustkampf war dabei am witzigsten.

Wieder an der Schmiede folgt eine Sequenz zur Fertigstellung des Schwerts und „Vorstellung der Hauptcharaktere“. Und dann bricht das Chaos aus. Skalitz wird überfallen und aufs grauenvollste niedergeschlachtet und ich komme nur knapp mit dem Leben davon. Die Flucht fühlte sich sehr authentisch an wozu die Ego-Perspektive enorm beiträgt. Generell findet alles in der First Person Perspektive statt und das ist ein großes Plus. Im Kampf oder im Verstohlenen, im schnellen wie auch langsamen, ist diese Kameraeinstellung hervorragend gelungen. Gerade der aufkommende Stress nach einem Treffer durch einen Gegner und dem Schwanken der Sicht oder bei Hunger und Müdigkeit, kurz vor der Ohnmacht, tragen zum besonderen Feeling des Charakters bei. Die veränderte Charakter-Steuerung bei Verwundungen oder Critical Hits zwangen mich sofort abzuwägen, ob es nicht klüger ist die Flucht zu ergreifen.

Generell stirbt man sehr leicht im Kampf. Vereinzelte Situationen, vor allem wenn ich Langfinger überladen war, oder im speziellen in der Schlacht, achtete ich nicht auf meine Deckung oder stand im Freien, ereilte mich der rote Screen ohne Vorankündigung. Aber auch Hunger, Erschöpfung, Blutungen und Vergiftungen sind eine ernstzunehmende Statusveränderung. Gegen all das kann man sich auf zahlreiche Arten vorbereiten und schützen. Hier zeigt sich welche Qualität die Spielemacher auf den Rollenspielanteil gelegt haben. Begonnen bei der riesigen Auswahl an Kleidungsstücken, Rüstungen & Waffen. Und alle müssen gehegt und gepflegt werden. Fällt die Haltbarkeit gegen Null sind die Gegenstände einfach nur Ballast. Dazu sucht man die entsprechenden Fachleute. Oder man macht es einfach selbst - mit der entsprechender Fertigkeit. Diese muss geschult werden in mühsamen Trial & Error und kann teilweise durch Aufsuchen eines Lehrers verbessert werden. Je besser diese werden, nicht nur das Handwerk sondern auch andere, desto mehr Fähigkeiten kann man aus diesem Feld aktivieren. Das Interface ist wirklich liebevoll und mit passendem Design gestaltet. Ich fand mich gut zurecht.Überhaupt ist das Spiel samt Welt voller Details und Akkuratesse. Die Landschaft lädt zum erkunden ein und fühlt sich groß und lebendig an. Ortschaften und Siedlungen sind eben genau so groß wie sie sein sollten und Städte und Festungen dementsprechend ebenfalls auch. Historisch und sorgfältig, und hier kam kein Zweifel auf, sind Architektur und die Farbgestaltung von jedem erdenklichen Objekt. Die Sprache und der Umgang von Bevölkerungsgruppen und Autoritäten mit mir oder untereinander ließen mich häufig schmunzeln.

Leider ist das Spiel nicht komplett fertig und somit ein „Work-in-Progress“. Kleine Bugs und Glitches in der Grafik sind zu verschmerzen und selten aufgetreten. Aber Treppen oder Büsche, die einen nicht passieren lassen oder andere unsichtbare Barrieren kamen gelegentlich auch vor. Oder wenn man in Talmberg steht und das Burgtor nicht aufgeht, egal was man macht und das bis weit ins Spiel ist das sehr fraglich (erst nach dem Pferderennen stand es plötzlich offen). Anderenorts blieben Interaktionen mit Charakteren aus und verhinderten den Abschluss von zwei Side Missions. Erst nach mühseligen Backtracken der Spielstände klappte es. Die Autosave-Funktion ist selten (Questabschluss oder Schlafen) und nur mit dem seltenen und teuren Saviour Schnapps kann man manuell speichern.

Auf der anderen Hand zeigen diese Umstände, dass diese Freiheit im Spiel nicht alle Wege erfassen lässt, auf die man Aufgaben lösen kann und das führt dann zu Problemen. (Warhorse Studios ist bereits ordentlich Patches und Updates am nachliefern) Diese Freiheit wurde auch dadurch gewährleistet, dass man sehr wenig Ladezeit hat. Höchstens nach abgebrochenen Videosequenzen, dem Zeitsprung oder der Fasttravel-Funktion. Die Anzeige auf meiner PS4 Pro lief bis auf größere Schlachten ruckelfrei auf 30 FPS. Allerdings wurden einige Texturen langsamer geladen und es kam zu Pop Ups (bis man quasi davor stand). Die PS4 Pro bringt leider keine weiteren Vorteile wie andere Spiele mit sich. Es gibt weder einen Performance noch Cinematic Mode.

Es gibt unglaublich viel zu tun, typisch Rollenspiel eben. Mit dem Fortschreiten in der Welt und Story entblößen sich mehr und mehr Aufgaben, spätestens wenn man die Innkeeper nach Neuigkeiten befragt. Man kann auf eine scheinheilige Art und Weise spielen und doch hinter der Maskerade ein Verbrecher sein, wenn man seine Spuren zu löschen vermag. Die vielen NPCs wirken sehr detailliert programmiert und doch fehlte mir bei Zeiten die Mimik und dagegen wirkte die Gestik sehr dick aufgetragen. Von den Tieren braucht man nicht zu sprechen: sind zwar da aber das war es dann auch schon. Angeschossene reagieren nicht mal! Zwischen alldem kann man sich in der riesigen Spielwelt verlieren und damit auch das Tempo aus dem Spiel nehmen bis man sich wieder fängt oder exakt einer Aufgabe widmet. Ich fühlte mich effektiv ins Mittelalter versetzt. Das Erlernen des (Nah-)Kampfes gestaltete sich als machbare Herausforderung, auch wenn man das über den Kampf zu Pferd oder mit Bogen nicht sagen kann. Ich fand mich bei Zeiten staunend über die schöne Natur und auf der Jagd wieder. Aber auch die Story und das Questdesign wirkten authentisch und realistisch. Ich werde definitiv noch jede Menge Stunden in diesem Spiel verbringen, auch wenn die Optimierung noch aussteht.

 

Fazit 7.5 aus 10

Aufgrund dem noch fehlenden Feinschliff und der stockenden Fehler keine Höchstwertung. Wer aber ein Fan von Mittelalter, einem realistischen Kampfsystem oder einfach nur einer riesigen Spielwelt (voller Aufgaben) ist wird an diesem Titel viel Freude erfahren.  Spätestens wenn die groben Macken entfernt wurden ist Kingdome Come: Deliverance ein Must-Have für jede gut sortierte Spielesammlung.